Arzneimittelforschung und -produktion in Deutschland stärken:

Arzneimittelforschung und -produktion in Deutschland stärken:

7-Punkte-Programm durch Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) beschlossen

„Es stellt kompakt den wichtigen Beitrag der Industrie für die Gesundheit und die Wirtschaft Deutschlands dar. Und es zeigt auf, was aus Sicht der forschenden Pharmaindustrie getan werden muss, um Arzneimittelforschung und -produktion in Deutschland zu stärken. […] Bundesregierung und Länder ergreifen zahlreiche Maßnahmen, um Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gegenwärtig bestmöglich zu bewältigen. […] Jetzt besteht die historische Chance, gezielt zukunftsfähige Strukturen wie Klimaschutz, Digitalisierung sowie Arzneimittelforschung und -produktion in Deutschland voranzutreiben. Jetzt müssen die Weichen für eine zukunftsorientierte Gesellschaft und eine nachhaltige Wirtschaft gestellt werden. […] Zwar sind Forschung und Produktion von modernen Arzneimitteln im Jahr 2020 noch immer oftmals „made in Germany“ und bringen Deutschland momentan noch gut durch die Krise, doch bereits seit einigen Jahren zeigt sich ein gefährlicher Trend: die einstige Apotheke der Welt verliert immer mehr an Boden gegenüber anderen Ländern, insbesondere an die USA und Asien. Die klinische Forschung sowie die besonders zukunftsträchtige Biotech-Produktion finden zunehmend dort statt, wenngleich wir auf die aktuellen Erfolge aus Deutschland in der Impfstoffentwicklung stolz sind. […] Neuinvestitionen insbesondere in neuartige Therapien wie Gen- und Zelltherapie finden fast ausschließlich in den USA und Asien statt. Parallel zu der schleichenden Verlagerung der Forschung und Produktion zeichnet sich immer mehr eine protektionistische Handelspolitik einiger Länder ab. Auch die bisher noch stabilen Lieferketten geraten dadurch immer mehr ins Schwanken. Gehen diese Trends ungebremst weiter, gibt Deutschland ein großes Stück gesundheitliche und wirtschaftliche Zukunft auf. Jetzt ist die Zeit, entscheidende Weichen zu stellen. Jetzt muss eine moderne Industriepolitik betrieben werden. Für mehr Arzneimittelforschung und -produktion in Deutschland und mit verlässlichen internationalen Partnern.

  1. Lieferketten robust halten

Die globalisierte Wirtschaft muss erhalten bleiben. Sie ist für ein Land wie Deutschland, das vom Export lebt, die Grundlage unseres Wohlstandes. Internationale Netzwerke der Arzneimittelforschung und -produktion sind unerlässlich für den Fortschritt. Diversifizierung erhöht die Versorgungssicherheit: Fällt ein Standort aus, kann der andere kompensieren. Doch die internationale Arbeitsteilung muss noch sorgfältiger betrieben werden, Lieferketten weiterhin gesichert werden. Forschung und Produktion müssen gezielt in denjenigen Ländern aufgebaut werden, die langfristig verlässliche Handelspartner sind. Eine nachhaltige Industriepolitik setzt den Unternehmen Anreize, dort zu produzieren, wo kein Protektionismus betrieben wird und die hohen europäischen Qualitätsstandards überprüfbar eingehalten werden. Das ist möglich durch gezielte Förderung von europäischen und deutschen Public-private-Partnerships sowie durch mehr Ressourcen für die Arzneimittelbehörden, um die Standards international kontrollieren und durchsetzen zu können. Darüber hinaus lässt sich die Versorgungssicherheit erhöhen und Lieferketten stabilisieren, indem stabile Handelsabkommen für Arzneimittel geschlossen und eingehalten werden. Einseitige staatliche Incentives für Parallelhandel sollten abgeschafft werden, denn auch sie tragen zu Versorgungsproblemen in den exportierenden Ländern bei.

  1. Verwaltungsprozesse vereinfachen

Komplizierte und massiv unterschiedliche Verfahren der Aufsichtsbehörden stellen für Deutschland einen internationalen Standortnachteil dar. Einfache und bundesweit einheitliche Datenschutzregeln, Ethikvoten sowie Vorgaben für Vertragseckpunkte für Forschungsvorhaben sind notwendig, damit klinische Forschung in Deutschland schneller und effizienter erfolgen kann. Die Zulassungsbehörden müssen mehr Ressourcen erhalten, um Studiengenehmigungen und Zulassungsverfahren beschleunigen zu können.

Ein europaweit einheitliches Bewertungsverfahren der Studienlage zu Arzneimitteln, sogenanntes Euro-HTA, minimiert nationale Mehrarbeit, löst Widersprüche auf und schafft damit eine effiziente Grundlage für nationale Finanzierungsentscheidungen. Für die Ansiedelung von Produktionsanlagen in Deutschland sind einheitliche Bewertungen der GMP-Standards notwendig.

  1. Finanzierungsregeln konkurrenzfähig machen

Um Investitionen für neue Forschungsprojekte und Produktionsanlagen nach Deutschland zu holen, ist nicht nur die Aufstockung steuerlicher Forschungsförderung auf ein internationales Niveau essenziell. Bund, Länder und Kommunen können mit attraktiven Gewerbe- und Körperschaftssteuersätzen eine gezielt zukunftsgewandte und Industriepolitik betreiben und damit bisherige Nachteile gegenüber anderen Standorten aufheben. Ein wichtiger Faktor auch für die Ansiedelung innovativer Start-ups. Um diese mit mehr Investitionskaptal auszustatten, ist es zudem notwendig, dass es mehreren Gesellschaftsformen als bisher gesetzlich ermöglicht wird, in Venture-Capital zu investieren.

  1. Forschungsnetzwerke und Digitalisierung fördern

Die vielfältigen internationalen und deutschen Förderinitiativen, wie beispielsweise die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), die Innovative Medicines Initiative (IMI) oder der Aufbau von Forschungsnetzwerken der Universitätsmedizin, sind sehr hilfreiche Ansätze. Im internationalen Vergleich sind sie allerdings nicht ausreichend. Denn der Vernetzungsgrad der US-amerikanischen sowie der asiatischen Forschungs-Community ist ungleich größer als der europäischer Forschungseinrichtungen. Hier braucht es erheblich mehr finanzielle und strukturelle Förderung öffentlicher und öffentlich-privater Forschungskooperationen. Dazu gehört insbesondere, digitale Infrastrukturen auszubauen sowie die oftmals starren öffentlich-rechtlichen Arbeitsregelungen zu flexibilisieren, damit die Wissenschaftler öffentlicher und privater Einrichtungen effizienter zusammenarbeiten können. Darüber hinaus müssen die für die Forschung sehr wertvollen realen Versorgungsdaten digitaler Apps sowie der elektronischen Gesundheitsakte auch in Deutschland nach Einverständnis der Patienten anonymisiert und gesichert allen Forschungseinrichtungen zugänglich gemacht werden – öffentlich wie privat.

  1. Impfstoffe und Antibiotika fördern

Die beste Medizin ist die, die Krankheiten gar nicht erst entstehen lässt. In der aktuellen Situation wird ganz besonders deutlich, wie wichtig Impfstoffe und hohe Impfquoten sind. Die gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Konsequenzen unkontrollierbarer Pandemien können verheerend sein. Die Kosten einer Pandemieprävention sind dagegen verschwindend gering. Deshalb sind alle Ansätze zur Erhöhung der Impfquoten, wie beispielsweise intelligente Erinnerungssysteme, unabdingbar. Die Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen muss gezielt unterstützt werden.

Was für Viren gilt, gilt auch für Bakterien. Dank der Erfindung und Entwicklung hochwirksamer Antibiotika galt die von Bakterien ausgehende gesundheitliche Gefahr zwar bereits als ausgeräumt, doch ein unachtsamer Umgang mit diesen Medikamenten führt immer mehr zu verheerenden Resistenzen. Mit vereinten Kräften muss diese Entwicklung gestoppt und umgedreht werden. Wir brauchen dringend nicht nur Maßnahmen für einen sorgfältigeren Einsatz vorhandener Antibiotika, sondern mehr Grundlagenforschung für komplett neuartige antibakterielle Wirkmechanismen. Denn Bakterien sind komplizierter als Viren. Forschung und Entwicklung sind somit ungleich aufwendiger.

Um hier erfolgreich sein zu können, bedarf es nicht nur weltweiter öffentlich-privater Forschungskooperationen, sondern auch innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen nationaler Erstattungssysteme, die den enormen Aufwand anerkennen. Deutschland hat die Chance, in der Antibiotikaentwicklung eine Vorreiterrolle einzunehmen.

  1. Geistiges Eigentum schützen

Das Geschäftsmodell der forschenden Pharmaindustrie beweist auch in der aktuellen Krise, wie leistungsfähig es ist. In atemberaubendem Tempo werden neue Medikamente und Impfstoffe entwickelt. Essenzielle Grundlage dafür ist der Schutz von Patenten und Intellectual Property (IP). Ohne ausreichenden Schutz der geistigen und technischen Leistung der Forschung gäbe es diese Forschung nicht. Somit gäbe es keine neuen Medikamente mehr und damit auch weniger Therapien, die nach Ablauf der Schutzphase für minimale Preise in riesigen Mengen eingesetzt werden. Ohne ausreichenden Schutz geistigen Eigentums wäre also die Arzneimittelversorgung weltweit schlechter. Daher ist es kontraproduktiv, dass es auf europäischer Ebene immer wieder Überlegungen zur Einschränkung einiger IP-Rechte gibt. Deutschland als „Land der Erfinder“ muss sich auf europäischer Ebene für den kompletten Erhalt gegenwärtiger IP-Schutzregeln einsetzen.

  1. Verschiedene Therapieoptionen sichern

Versorgungssicherheit braucht Vielfalt und Reserven. Neue Therapieoptionen werden zwar in Deutschland erforscht und produziert, jedoch dann im deutschen Kassensystem aufgrund kurzsichtiger Sparansätze zu wenig eingesetzt. Doch es reicht nicht aus, oftmals nur die alte Standardtherapie einsetzen zu wollen. Dann fehlen eben innovative Therapieoptionen. Der Nutzen neuer Medikamente muss patientenrelevanter bewertet werden. Dazu gehört auch, dass man keine großen Patientenstudien erwarten kann, wenn es für eine sehr spezielle Therapie nun einmal nur ganz wenige Patienten gibt. Hier braucht es mehr Weitsicht, damit die Patienten die bestmögliche Versorgung bekommen.“

Quelle: Standort Gesundheit. Aktuelles aus Politik & Unternehmen, März 2021, S.16-19, teilweise gekürzt